Wer Informationen barrierefrei vermitteln will, muss nicht nur bestimmte technische Anforderungen beachten. Es kommt vor allem darauf, Inhalte in verständlicher Form zu präsentieren – und das für alle. Der Tag der Leichten Sprache weist jedes Jahr auf diese Anforderung hin.
Der Internationale Tag der Leichten Sprache wurde 2020 begründet. Er findet immer am 28. Mai statt, denn am 28. Mai 1988 wurde Inclusion Europe gegründet. Diese Organisation setzt sich europaweit für mehr Teilhabe von Menschen mit geistiger Behinderung ein. Leichte Sprache und Einfache Sprache bieten aber nicht nur dieser Zielgruppe Vorteile – von verständlicher formulierten Texten profitieren breite Teile der Bevölkerung.
Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer geistigen Behinderung. Legasthenie betrifft in Deutschland rund 3,5 Millionen Menschen. Etwa 7,5 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren sind funktionale Analphabeten, die einzelne Sätze lesen oder schreiben können, aber Probleme haben, zusammenhängende Texte zu verstehen. Knapp 25 Millionen Menschen in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. Davon gehören rund 16 Millionen der ersten Migrantengeneration an, sind also selbst eingewandert und haben eine andere Muttersprache. Auch die 1,2 Millionen blinden und sehbehinderten Menschen in Deutschland gehören zur Zielgruppe für einfacher aufgebaute Texte.
Sowohl Leichte Sprache als auch Einfache Sprache wollen Texte leichter verständlich machen. Ihr Ansatz unterscheidet sich jedoch deutlich. Leichte Sprache wendet sich an Menschen, die fast gar nicht lesen können, etwa Analphabeten oder Menschen mit einer geistigen Behinderung. Texte in Leichter Sprache enthalten nur die wichtigsten Informationen in sehr einfachen Worten und kurzen Sätzen. Sie sind auf das Leseniveau A1 ausgerichtet. Rund 5 % der Menschen verstehen nur Texte in Leichter Sprache.
Einfache Sprache richtet sich an Menschen mit niedrigen Lesefähigkeiten, zum Beispiel an funktionale Analphabeten, Menschen mit geringer Bildung oder Menschen mit einer anderen Muttersprache als Deutsch. Sätze in Einfacher Sprache sollten nicht länger als 15 Wörter sein und höchstens ein Komma enthalten. Einfache Sprache vermeidet Fremdwörter oder erklärt sie. Damit entspricht sie dem Leseniveau A2/B1. 95 % der Bevölkerung können Texte in Einfacher Sprache lesen. Gleichzeitig können aber 60 % aller Menschen in Deutschland schwierigere Texte nicht verstehen.
„Leichte Sprache“ ist kein geschützter Begriff. Es gibt jedoch Regelwerke verschiedener Organisationen und seit kurzem mit der „DIN SPEC 33429 – Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache“ einen Versuch, diese Regeln zu vereinheitlichen.
Alle diese Regelwerke sind sich in vielen Punkten einig: Texte in Leichter Sprache bestehen aus kurzen Sätzen. Jeder Satz enthält nur eine Information. Komplizierte Wörter und Abkürzungen werden erklärt. Auf Fremd- und Fachwörter sollte man verzichten und möglichst einfache, beschreibende Wörter verwenden: „Bus und Bahn“ ist etwa verständlicher als „Öffentlicher Personennahverkehr“, „Zusammenarbeit“ besser als „Teamwork“. Texte müssen durch Überschriften gut gegliedert sein. Absätze dürfen nicht zu lang sein. Empfohlen wird, nach jedem Satz einen neuen Absatz zu beginnen.
Texte in Leichter Sprache sollen von mindestens einer, besser zwei Personen aus der Zielgruppe auf Verständlichkeit geprüft werden, etwa durch Menschen mit geistiger Behinderung. Für Leichte Sprache auf Webseiten gibt es zudem Vorgaben zur Darstellung, beispielsweise zu Schriftgröße, Zeilenabständen und Zeilenlängen.
In Einfacher Sprache kann es heißen:
Wenn Sie noch Fragen haben, rufen Sie uns einfach an.
In Leichter Sprache wird daraus:
Haben Sie Fragen?
Sie können uns anrufen.
Bei komplexeren Themen zeigt sich der Unterschied zur Alltagssprache deutlich. So stellt sich das Bundesministerium für Gesundheit in Leichter Sprache vor:
„Herzlich willkommen auf den Internet-Seiten
vom Bundesministerium für Gesundheit.
Hier lesen Sie:
Das macht das Ministerium.
So arbeitet das Ministerium.
Das Bundesministerium für Gesundheit
hat seine Büros in Bonn und in Berlin.
Es hat sehr viele Aufgaben.
Das Ministerium schreibt zum Beispiel
neue Gesetze und Regeln.
(…)“
Schon diese Beispiele deuten ein Problem der Leichten Sprache an: Wer nicht auf sie angewiesen ist, fühlt sich bei so einer Ansprache unter Umständen nicht ernst genommen. Ebenso sollen auf sie angewiesene Menschen nicht das Gefühl bekommen, dass man sie für dumm hält. Deshalb müssen Ersteller solcher Texte ihre Formulierungen genau abwägen. Außerdem sollte Leichte Sprache ein zusätzliches Angebot sein und nicht an Stelle der herkömmlichen Sprache treten.
Die Einfache Sprache lässt sich wesentlich unkritischer einsetzen, da sie näher an der gesprochenen und geschriebenen Alltagssprache ist. Dennoch bietet sie einige Vorteile: Solche Texte können nicht nur mehr Menschen schneller erfassen und leichter verstehen. Auch Blinde, die eine Braillezeile zum Lesen benutzen, sind für kürzere Sätze und einfachere Satzkonstruktionen dankbar. Das Gleiche gilt für Menschen, die sich Texte von Screenreadern oder digitalen Assistenten vorlesen lassen.
Selbst für Menschen, die gut lesen können, sind Schreiben von Behörden eine Herausforderung: Umständliche Passivkonstruktionen, viele Nebensätze, endlose Substantivierungen und unbekannte Abkürzungen verrätseln selbst einfache Sachverhalte. Dazu kommen merkwürdige Bezeichnungen wie „Tischendgerät“ für ein Telefon, „raumübergreifendes Großgrün“ für einen Baum oder „Fahrtrichtungswechselanzeiger“ für einen Blinker.
Diese Behörden- und Juristensprache hat sich seit dem 16. Jahrhundert als hochformalisierte Sprache entwickelt, um Verwaltungsprozesse präzise definieren und ausführen zu können. Damit prägte sie den akademischen Stil in Deutschland ebenso wie den Stil der geschäftlichen Kommunikation. Betriebe und Behörden schreiben deshalb oft auf dem Sprachniveau C1, das weniger als 10 % der Bevölkerung verstehen. Und wie schon erwähnt: Fast zwei Drittel der Menschen in Deutschland verstehen keine Texte oberhalb des Sprachniveaus A2/B1.
Dieses Problem haben Behörden selbst erkannt: Das „Arbeitshandbuch Bürgernahe Verwaltungssprache“ hat sich Verständlichkeit, Bürgernähe und bessere Zusammenarbeit von Behörden und Privatpersonen als Ziele gesetzt. Dass das nicht so einfach ist, zeigt sich daran, dass das Handbuch zuletzt in vierter Auflage 2002 erschienen ist. Mehr als zwanzig Jahre später sind Formulare und Briefe deutscher Behörden vielfach immer noch so unverständlich wie einst – trotz zahlreicher Anläufe auf vielen Ebenen, „Behördisch“ in allgemeinverständliches Deutsch zu übersetzen.