Damit es zur Unterschrift kommt sollten Unternehmen auch auf digitale Bewerbungstools setzen. Bild: Scott Graham/unsplash.com
In der heutigen digitalen Ära, in der Technologie fast jeden Aspekt unseres Lebens durchdringt, bleibt ein Bereich überraschend traditionell: der Bewerbungsprozess in vielen Unternehmen. Laut dem Verein Bitkom leiden fast alle Unternehmen in Deutschland unter Fachkräftemangel, doch „viel zu viele machen es Interessierten unnötig schwer, sich einfach zu bewerben.“ Obwohl digitale Bewerbungstools gerade in Zeiten galoppierenden Fachkräftemangels das Potenzial haben, den Rekrutierungsprozess zu revolutionieren, nutzen nur wenige Unternehmen diese innovativen Lösungen. Warum ist das so, und welche Chancen verpassen diese Unternehmen?
„Praktisch alle Unternehmen (99 Prozent) setzen auf die Bewerbung per E-Mail, und gleichzeitig ermöglichen drei Viertel (73 Prozent) weiterhin die Einreichung einer klassischen Bewerbungsmappe auf Papier,“ gibt Bitkom bekannt. Dieser traditionelle Ansatz ist nicht nur zeitaufwendig, sondern birgt auch das Risiko, im Recruitmentprozess talentierte Kandidat*innen zu übersehen.
Geht es um die Jobsuche, informiert sich die gerade in den Arbeitsmarkt strömende Generation Z zum Beispiel fast ausschließlich digital. Nicht nur auf TikTok, sondern auch über andere soziale Medien werden potenzielle Unternehmen gesucht und gefunden, heißt es dazu in einer Trendence-Studie im Auftrag des Jobportals kununu.
Digitale Bewerbungstools sind Technologien, die den Rekrutierungsprozess automatisieren und optimieren. Sie umfassen Bewerber-Tracking-Systeme (ATS), die Bewerbungen verwalten und organisieren, KI-basierte Screening-Tools, die Lebensläufe analysieren und die besten Kandidat*innen identifizieren, und digitale Interviewplattformen, die Video- oder Online-Interviews ermöglichen. Diese Tools verbessern die Effizienz des Bewerbungsprozesses, bieten eine objektivere Kandidatenauswahl und können helfen, Vorurteile zu reduzieren. Sie ermöglichen auch die einfache Integration von Bewerberdaten in vorhandene HR-Systeme.
Es stecken also viele Möglichkeiten, die Effizienz des eigenen Recruitings zu stärken, in der Nutzung digitaler Bewerbungstools. Allerdings bieten nur 43 Prozent der Unternehmen die Bewerbung via Online-Tool an, und gerade einmal 17 Prozent setzen auf eine One-Klick-Bewerbung in Business-Netzwerken, heißt es dazu im Bitkom-Artikel.
Digitale Bewerbungstools automatisieren und beschleunigen den Bewerbungsprozess, was Zeit und Ressourcen spart. Doch neben dieser Effizienzsteigerung bieten sie weitere, oft entscheidende Vorteile. So verbessern KI-basierte Tools die Kandidatenauswahl: Kollege Computer kann geeignete Kandidat*innen oft objektiver beurteilen und implizite Vorurteile reduzieren. Online-Tools ermöglichen es außerdem, die Reichweite zu steigern und so eine größere Anzahl von Bewerbungen zu erhalten und zu verarbeiten. Ein schneller, transparenter Bewerbungsprozess steigert die Attraktivität des Unternehmens für Bewerberinnen und Bewerber, indem er das Kandidatenerlebnis verbessert. Auch hier gilt: Der erste Eindruck, den Kandidat*innen gewinnen, zählt.
Einen geradezu unschätzbaren Vorteil bilden die Möglichkeiten der Datenanalyse und des Reportings. Sie bieten wertvolle Einblicke in den Rekrutierungsprozess durch Tracking und Analyse von Bewerberdaten. Integriert man die Bewerbung außerdem in bestehende oder neue, moderne HR-Systeme, erleichtert das die Integration von Bewerberinformationen in bestehende Personalmanagement-Systeme. Das Onboarding kann so aus einem Guss erfolgen und Kandidat*innen und Unternehmen einen fehler- und stressfreien Start in die gemeinsame Arbeitsbeziehung ermöglichen.
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder stellt fest: „Zu viele Unternehmen setzen noch auf Bewerbungsverfahren wie vor 20 Jahren.“ Die Gründe dafür können vielfältig sein, von Kostenüberlegungen bis hin zum Widerstand gegen Veränderungen. Traditionelle Bewerbungsprozesse sind immerhin tief verwurzelt.
Einige Unternehmen verfügen außerdem möglicherweise nicht über das technische Know-how oder die Infrastruktur, um diese Tools effektiv zu nutzen. Bedenken hinsichtlich der Sicherheit und des Datenschutzes von Bewerberdaten können ebenfalls eine Rolle spielen. Unternehmen sind sich möglicherweise unsicher über den Return on Investment (ROI) dieser Technologien.
Doch gerade der ROI ist über digitale Bewerbungstools deutlich besser messbar als durch den traditionellen Prozess: Stellenanzeigen kosten schließlich ebenfalls Geld und Zeit. Es ist also an der Zeit, dass Unternehmen die Bedeutung digitaler Bewerbungstools erkennen und sie in ihre Rekrutierungsstrategien integrieren. Langfristig können diese Tools Unternehmen dabei helfen, die besten Talente zu gewinnen und einen Wettbewerbsvorteil zu sichern.
Durch die rosarote Brille sollte man digitale Bewerbungstools allerdings nicht betrachten. So gibt es mittlerweile viele Stimmen, die berechtigte Kritik an den Lösungen formulieren. So schrieb das amerikanische Onlinemedium The Verge über einen Report der Havard Business School. In diesem belegten Forscher unter der Leitung des Monitor-Gründers und Hochschullehrers Joseph B. Fuller, dass Lebenslauf-Scanner in den USA in Millionen von Fällen geeignete Kandidat*innen fälschlich aussieben. Oft reichte dabei das Fehlen eines bestimmten Schlüsselbegriffs in den Fähigkeiten des Bewerbers oder der Bewerberin. So akzeptierte in einem Fall ein Krankenhaus ausschließlich Bewerber*innen mit Fähigkeiten im Programmieren, obwohl für die Stelle lediglich verlangt war, Patientendaten in einen Computer einzugeben.
Noelle Chesley, Professorin der Universität von Wisconsin in Milwaukee, hat vier Grundprobleme in der Nutzung künstlicher Intelligenz im Bewerbungsprozess erkannt. So zeigen Algorithmen bestimmte Jobs zum Beispiel öfter bestimmten Bevölkerungsgruppen, weil diese schon vorher die überwältigende Mehrheit in diesen Positionen stellten. Die hohe Effizienz der Algorithmen verstärkt außerdem menschliche Vorurteile. Stellen Firmen zum Beispiel im Bewerbertool ein, keine Kandidaten mit Lücken im Lebenslauf von über einem halben Jahr Länge zu akzeptieren, siebt das viele Menschen aus, die im Zuge der Corona-Krise ihre Jobs verloren hatten und aufgrund der Wirtschaftslage schlicht auf neue Angebote warten mussten.
Die detaillierte Einstellbarkeit der für eine Stelle erforderlichen Fertigkeiten erzeugten bei Personalverantwortlichen die Illusion, sich nur auf die Crème der Bewerber konzentrieren zu müssen, die mehr können als für die Stelle notwendig, kritisiert Chesley. Eigentlich geeignete Bewerberinnen und Bewerber fallen dabei aus dem Raster. Da die Algorithmen schließlich vor allem die Unternehmen als Kunden sehen und deren Aufwand reduzieren sollen, fühlten sich Bewerber*innen oft, als würfen sie ihre Bewerbung in ein schwarzes Loch. Feedback, warum es mit der Bewerbung nicht geklappt hat, gibt es oft nicht.
In einer Welt, in der digitale Lösungen immer mehr an Bedeutung gewinnen, ist es überraschend, dass viele Unternehmen bei der Rekrutierung auf traditionelle Methoden setzen. „Der Wettbewerb um die besten Fachkräfte beginnt bereits mit einem niedrigschwelligen Bewerbungsprozess,“ betont Rohleder. Gerade in Zeiten galoppierenden Bewerbermangels kann es sich für gewiefte Unternehmer auszahlen, in digitale Tools investieren. Bei der Auswahl der Tools sollte man allerdings Vorsicht walten lassen: Nach welchen Kriterien werden Bewerber*innen abgelehnt? Wie kann ich abgelehnte Bewerber*innen noch einmal überprüfen?
Noelle Chesley empfiehlt daher, die eigene Automatisierung beständig zu auditieren. Außerdem sollten Unternehmen auf ihre Jobbeschreibungen achten und dabei genau überprüfen, welche Fertigkeiten wirklich notwendig sind für eine Stelle. Die Anbieter digitaler Bewerbungstools nimmt Chesley dabei ebenfalls in die Pflicht und fordert mehr Transparenz für die Bewerberinnen und Bewerber.