auctores
Menü Zur Startseite
Startseite

Website-Zusatztools für Barrierefreiheit sind meist Notbehelf und Kosmetik statt sinnvoller Lösung - Bild: Belamy/Adobe Stock

Barrierefreiheit auf Knopfdruck existiert nicht

Overlay- und Plugin-Lösungen versprechen oft mehr, als sie halten können

Spätestens im Juni 2025 müssen EU-weit auch gewerbliche Websites barrierefrei sein. Die meisten sind von diesem Status weit entfernt. Der Aufwand, einen bestehenden Online-Auftritt barrierefrei zu machen, ist erheblich. Eine Lösung für dieses Problem sollen WidgetsPlugins oder Overlays sein, die eine Website automatisch barrierefrei machen sollen.

accessiBe, Accessible360, AudioEye, DIGIAccess, EqualWebUserway – die Liste der Hersteller solcher Accessibility-Overlays und -Plugins ist lang, und deren Versprechen ähneln sich: Einfach das Produkt in die Website integrieren, und schon ist der Auftritt barrierefrei. In der Praxis ist es allerdings nicht ganz so einfach. Accessibility-Expert*innen und Betroffene sind sich einig, dass derartige automatisierte Lösungen nicht funktionieren, sondern im Gegenteil häufig neue Probleme schaffen. Und wer sich als Website-Betreiber*in darauf verlässt, so gesetzliche Vorgaben zu erfüllen, kann ein böses Erwachen erleben – besonders, wenn man sich noch nicht mit der Komplexität des Themas beschäftigt hat und auf die Prospektlyrik vertraut.

Digitale Barrierefreiheit ist in Deutschland und Europa klar definiert; hierfür müssen die Vorgaben der EN 301549 und BITV erfüllt sein, die auf den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG 2.1) des World Wide Web Consortiums (W3C) basieren. Das Hauptproblem solcher Tools ist, dass sie auf dem aktuellen Stand der Website aufsetzen und viele Umsetzungs- und Pflegefehler nicht kompensieren können. Was vorher nicht barrierefrei war, weil etwa Überschriften zur Strukturierung der Inhalte fehlen oder Elemente nicht korrekt ausgezeichnet sind, wird durch sie auch nicht barrierefrei. So wie bei Gebrauchtwagen eine Verkaufslackierung eine Rostlaube nicht verkehrssicher macht, machen auch ein paar bunte Knöpfe zur Schriftvergrößerung oder eine rudimentäre Vorlesefunktion eine Website nicht barrierefrei, sondern vermitteln nur den Anschein davon.

Kritik von Betroffenen und Experten

Einer Umfrage der Initiative Web Accessibility In Mind (WebAIM) zufolge stufen 67 % der befragten Expert*innen derartige Tools als überhaupt nicht oder nicht sehr effektiv ein. Unter den Nutzer*innen mit Behinderungen sind sogar 72 % der Befragten dieser Ansicht. Das liegt nicht nur daran, dass solche Zusatzlösungen nur einen Teil der für echte Barrierefreiheit wichtigen Anforderungen abdecken. Vielfach bilden sie nur Funktionen nach, die moderne Browser und Betriebssysteme von Haus aus haben oder die Betroffene über assistive Technologien wie Screenreader nutzen.

Menschen, die für die Website-Nutzung auf Schriftvergrößerung, größere Zeilenabstände, hohe Kontraste oder eine Sprachausgabe angewiesen sind, haben ihre Geräte auf ihre Alltagbedürfnisse abgestimmt und sich einen Werkzeugkasten von Browser-Plugins und Hilfstechnologien zusammengestellt, die sie universell einsetzen. Punktuelle Overlays und Plugins auf einzelnen Webauftritten können diese individuellen Konfigurationen nicht ersetzen. Erschwerend kommt hinzu, dass derartige Website-Ergänzungen für „Barrierefreiheit auf Knopfdruck“ teilweise selbst nicht barrierefrei umgesetzt und bedienbar sind.

Neue Barrieren und rechtliche Risiken

Ein weiteres Problem ist, dass solche Lösungen gerade für Betroffene zusätzliche Barrieren aufbauen, weil sie die Verwendung herkömmlicher Bedienungshilfen und assistiver Technologien behindern oder sogar unmöglich machen. Schlimmstenfalls können diese Tools die grundsätzliche Zugänglichkeit eines Auftritts torpedieren, mit möglichen juristischen Folgen für die zur Barrierefreiheit verpflichteten Anbieter*innen der Website. Bietet etwa die Overlay-Lösung eine Farbumschaltung an, die nicht berücksichtigt, dass Nutzer*innen sich eigene Farbschemata definiert haben, wird die Website ganz oder teilweise unlesbar. Und legt das Tool Funktionen auf Tasten, die Nutzer*innen bereits anders belegt haben, stören sie deren Arbeit.

In einer gemeinsamen Einschätzung kommen die der Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für die Barrierefreiheit von Informationstechnik zu dem Schluss: „Aktuell sind Overlay-Tools nicht in der Lage, einen Webauftritt, der Barrieren aufweist, komplett barrierefrei darzustellen. Häufig kommt es vor, dass durch den Einsatz solcher Tools weitere Barrieren im Webauftritt entstehen, die ohne das Tool gar nicht existiert hätten.

Gemäß den gesetzlichen Verpflichtungen muss es für Menschen mit Beeinträchtigungen ohne besondere Erschwernis und in allgemein üblicher Weise möglich sein, das Overlay-Tool so zu nutzen, dass die Barrieren wie von der Funktion beschrieben, tatsächlich auch beseitigt werden und keine negativen Wechselwirkungen entstehen.“

Während nach vorherrschender Expertenmeinung OverlaysWidgets und Plugins unnötig und zur Lösung bestehender Probleme an der falschen Stelle im Technologie-Stack platziert sind, sehen die Autoren der Überwachungsstellen-Stellungnahme immerhin eine Einsatzmöglichkeit: Overlay-Tools können eine schon vorhandene Barrierefreiheit verbessern, indem z. B. zusätzliche Kriterien der Konformitätsstufe AAA der WCAG erfüllt werden.“ Dies ist etwa auch der Ansatz des Tools Eye-Able, das die Hersteller als Zusatzservice für Nutzer*innen mit eingeschränktem Sehvermögen vermarkten – und ausdrücklich darauf hinweisen, dass Overlays wie ihres kein Ersatz für eine barrierefreie Programmierung nach gesetzlichen Standards sind, und die auch nicht behaupten, dass eine Website durch Eye-Able barrierefrei wird.

Neben fehlender Barrierefreiheit bescheren einige der Zusatztools auf dem Markt Website-Betreiber*innen ein weiteres Problem: Da sie über Server der Produktanbieters eingebunden werden, Daten gegebenenfalls auch dort verarbeiten und Cookies setzen, müssen die Website-Betreiber*innen entsprechend den Vorgaben von DSGVO und TTDSG einen Vertrag zur Auftragsverarbeitung mit dem Anbieter des Tools schließen, ihre Datenschutzhinweise und auch das Cookie-Banner der Website entsprechend anpassen. Nicht zuletzt fallen für die Nutzung derartiger Tools in der Regel monatliche bzw. jährliche Gebühren an, deren Höhe sich je nach Produkt an Funktionsumfang oder Nutzerzahlen orientiert.

Es bleibt dabei: Barrierefreiheit ist komplex und macht Arbeit. Für nachhaltige Barrierefreiheit muss diese bereits bei Konzeption und Gestaltung berücksichtigt werden, und auch das eingesetzte Content-Management-System muss das Erstellen barrierefreier Inhalte unterstützen. Mit der technischen Grundlage ist es nicht getan, die Inhalte müssen auch tatsächlich barrierefrei aufbereitet und in die Website eingepflegt werden – und das jedes Mal, wenn neue Inhalte hinzukommen oder bestehende geändert werden, denn Barrierefreiheit ist hier ein kontinuierlicher Prozess, den alle Beteiligten leben müssen.

Update 26.05.2023: Das Europäische Behindertenforum EDF und der Internationale Verband der Fachleute für Barrierefreiheit IAAPO haben eine gemeinsame Erklärung zu Accessibility Overlays abgegeben – Kernaussage:

Overlays machen die Website nicht zugänglich und entsprechen nicht den europäischen Rechtsvorschriften zur Barrierefreiheit.“

« zurück