Obacht: Mangelnde Barrierefreiheit führt in den Vereinigten Staaten bereits zu empfindlichen Geldstrafen. - Bild: Pixel-Shot/Adobestock
Das Erstellen und vor allem die laufende Pflege einer barrierefreien Website kosten Zeit und Geld. Overlay-Lösungen versprechen hier schnelle Abhilfe: Per Plugin sollen Websites automatisch und gesetzeskonform barrierefrei werden. Der Unterschied zwischen Werbung und Realität wird derzeit in den USA für Overlay-Nutzer und -Anbieter teuer. Schon seit einiger Zeit laufen zahlreiche Klagen wegen Barrierefreiheitsmängeln. Nun soll Overlay-Anbieter accessiBe zusätzlich eine Million Dollar wegen unlauterer Werbung zahlen.
accessiBe ist nur einer von vielen Anbietern solcher Tools, die versprechen, Websites automatisch konform zu Vorgaben von Gesetzen wie dem Americans with Disabilities Act (ADA) oder der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) machen, ohne dass der Betreiber der Website etwas ändern muss. Sie legen dazu eine zusätzliche Bedienoberfläche – ein Overlay – über die Website. Mit ihr sollen dann Nutzer*innen mit Behinderungen eine ansonsten nicht barrierefreie Website problemlos bedienen können. Weltweit sind sich Experten und Behindertenverbände einig, dass solche Overlays grundlegende Barrierefreiheitsmängel einer Website nicht beheben und häufig sogar neue Barrieren schaffen.
Doch das Versprechen von Barrierefreiheit auf Knopfdruck erscheint vielen Kunden attraktiv; vor allem, wenn Sie auf die Herstellerangaben vertrauen, ohne sich mit dem Thema auseinandergesetzt zu haben. accessiBe hat nicht nur lange damit geworben, dass Website-Betreiber mit dem Overlay-Widget die gesetzlichen Vorgaben erfüllen. Das Unternehmen hat auch mit Testimonials und positiven Rezensionen geworben, die nicht unabhängig waren, sondern lin „materieller Verbindung“ mit dem Unternehmen standen, so die in den USA für Verbraucherschutz zuständige Federal Trade Commission (FTC).
Im Rahmen eines Vergleichs hat die FTC nun accessiBe aufgefordert, eine Million Dollar zu bezahlen sowie falsche Werbeversprechen und unlautere Werbung zu unterlassen. De amerikanische Blindenverband nannte bereits 2021 das Marketing von accessiBe „respektlos und irreführend“.
Das sind allerdings nicht die ersten Vorwürfe, die gegen accessiBe laut wurden. Im Sommer vergangenen Jahres hatte eine New Yorker Hautarztpraxis das Unternehmen verklagt, nachdem sie auf die Werbeaussagen vertraut hatte und selbst wegen einer nicht barrierefreien Website verklagt worden war. Und das ist kein Einzelfall: In den vergangenen Jahren wurden bereits eine Reihe von Großunternehmen wegen Barrierefreiheits-Verstößen verklagt.
Der ADA Accessibility Lawsuit Tracker (Schnappschuss bei archive.org) von UsableNet listet alleine für den Dezember 2024 insgesamt 343 laufende Klagen wegen Verstößen gegen Barrierefreiheits-Vorgaben. Davon richten sich 85 Klagen gegen Website-Betreiber, die Overlay-Lösungen einsetzt haben.
Das dürfte auch in Europa bald Realität werden. Barrierefreiheit wird ab dem 28. Juni 2025 EU-weit auch für die meisten gewerblichen Websites Pflicht. Bei Verstößen könnte es hier neben Abmahnungen und Bußgeldern, wie sie die Verordnung zum Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSGV) in § 37 festlegt, ebenfalls Klagen geben. So enthält das deutsche Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) ein Verbandsklagerecht. Danach kann ein anerkannter Behindertenschutzverband Klage auf Feststellung eines Verstoßes gegen bestimmte behindertenschutzrechtliche Vorschriften erheben.
Barrierefreiheit kann nicht nur ein Zusatz-Feature oder optionales Add-on sein, sondern muss integraler Bestandteil bei der Gestaltung und Entwicklung einer Website sein. Wer auf „nachträgliche Lösungen“ wie Overlays setzt, riskiert, das Vertrauen der Nutzer zu verlieren und gegen gesetzliche Vorgaben zu verstoßen. In der Regel sind solche Lösungen der Versuch, ein marodes Fundament mit ein wenig Spachtelmasse aufzuhübschen. Die grundlegende Inkompatibilität einer Website mit Barrierefreiheits-Standards wird dadurch nicht gelöst. Nicht zu vergessen: Für Fehler, die durch den Einsatz solcher Werkzeuge entstehen, bleibt der Website-Betreiber verantwortlich.
Für Unternehmen, die ihre Dienste barrierefrei anbieten müssen, empfiehlt sich, bei der Umsetzung einer barrierefreien Webpräsenz von Anfang an auf ein sicheres Fundament zu bauen, statt sich mit schneller Oberflächenkosmetik zu helfen. Setzen Sie daher bei der korrekten Umsetzung von Barrierefreiheit auf Spezialisten, die sich mit dem Thema bis in die Tiefe auseinandergesetzt haben und die technische Fähigkeit zur kosteneffizienten Implementierung besitzen.